Neue Diskussion um das Küstengesetz

Als im Jahr 1988 das Küstengesetz (Ley 22/1988 de 28 de Julio, de Costas) in Kraft trat und schließlich auch die dazugehörige Durchführungsverordnung (RD 1471/1989 de 1 de diciembre, zuletzt geändert am 18.09.1992) war dies mit wenig Aufstand oder Gegenwehr verbunden. Im Gegenteil: Politiker wurden gefeiert, weil Küsten und Strände eindeutig der allgemeinen Nutzung durch die Bevölkerung zugeordnet wurden mit  weitreichendem Schutz und garantierten öffentlichen Zugangsrechten. Es war die eigentlich lobenswerte Absicht, der zerstörerischen Bebauung insbesondere in den 60-iger Jahren, der spanischen Küsten und Strände entgegenzuwirken.

Dabei fiel in diesem Zusammenhang (zunächst) kaum auf, dass auch die Küstenzone (Zona Marítimo Terrestre, ZMT) abstrakt neu definiert wurde. Sicherlich haben Sie schon an den Küsten Mallorcas kleine Zementpyramiden gesehen, an deren Seitenflächen die Buchstaben Z M T  (Zona Marítimo Terrestre) aufgeprägt sind. Die Verbindung dieser Punkte ergibt die Linie, die die Trennung zwischen öffentlichen und privaten Grund markiert.

Ist ja auch nicht ganz einfach festzulegen, wo der (öffentliche) Strand oder Küstenbereich endet und dahinter (privates)  Eigentum  beginnt. Das Gesetz war dabei keine große Hilfe, das in Art 3 und 4 die Kriterien für diese Küstenlinie (deslinde marítimo terreste)  nur sehr vage festlegte: „Die höchste jemals bekannte Flut“, „Sand- und Dünenablagerungen aller Art“ „Vorhandensein typischer Sand- und Strandpflanzen“, überall dort sollte kein Privateigentum möglich sein. Da graut es jedem Juristen, dessen wichtigstes Handwerkszeug glasklare nachvollziehbare Definitionen sind.  Jetzt waren also Geologen und Biologen an der Reihe, denen sich aber logischerweise ein weites Feld für Interpretationen in Einzelfällen bot.  Und diese gab es  reichlich auf über 8.500 km Küstenlinie, in 25 Provinzen und 428 Gemeinden. Kaum zu glauben, aber nachvollziehbar angesichts dieser Zahlen: bis 2003 waren 4.659 km geschafft, bis 2010 weitere 3.880 km; es fehlen heute, 23 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, immer noch 5 % der Küsten, die auf eine Neudefinition des deslinde warten.

Erschwerend kam hinzu, dass die Durchführung des neuen deslinde nicht etwa den lokalen Behörden überlassen wurde, die sich zwangsläufig bestens vor Ort auskennen, sondern vielmehr einer Behörde (demarcación de costas) der Zentralregierung in Madrid. Diese schickte nach und nach ihre Geologen und Biologen auf die Reise zu den Küsten Spaniens um, mit dem Gesetzestext in der Hand, diese wichtige Strandzone zu definieren.

Mit derart weichen Kriterien war auch klar, dass willkürliche Grenzziehungen, im Guten wie im Schlechten möglich waren, mal werden bestehende Häuer, gerade bei Städten und Dörfern, elegant umgangen und ausgespart, mal werden, durchaus in einiger Entfernung der Küste liegenden Häuser gnadenlos ausradiert. Logisch nachvollfziehbar ist das nicht immer. Dabei enthält das Küstengesetz noch allerlei weitere Erschwernisse für die an die Küstenzone angrenzenden Eigentümer, dies im Hinblick auf die Sanierung, Weiterbau und Ausbau der bestehenden Immobilie, für die nun nicht nur eine Baugenehmigung der Gemeinde erforderlich wird, sondern darüber hinaus auch die ausdrückliche Zustimmung der Küstenbehörde. In der ersten allgemeinen Freude über das neue Gesetz gingen die zunächst  leisen Proteste verschiedener betroffener Bürger unter, ausserdem, wie oft in Spanien, wartete man erst einmal ab, wie die Umsetzung dieses Gesetzes in der Praxis aussehen würde (immerhin hatte es ja auch schon mehr als ein Jahr gedauert, bis die Durchführungsverordnung zu dem Küstengesetz erlassen wurde).  Jetzt geht es aber richtig los:

Die viel zu lange Dauer der Umsetzung des Gesetzes, der immer lauter werdenden Protest einzelner geschädigter Eigentümer und erste Abrissverfügungen haben einen Prozess des Umdenkens in Gang gesetzt. Langsam dämmerte es den betroffenen Eigentümern, dass ihre rechtmäßig erworbenen und im Grundbuch eingetragenen Häuser und Grundstücke, wie auch rechtswirksam erteilte Baugenehmigungen möglicherweise plötzlich wenig wert waren.

Befeuert wird der Unmut weiter durch verschiedene spanische „Autonomías“ (Provinzen), die ihr eigenes regionales Küstengesetz mit ganz eigenen Interpretationen auf den Weg gebracht haben. Canarias und Galicia haben es versucht,  deren Gesetz wurde aber (vorläufig) von der Zentralregierung vor dem spanischen Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional) angefochten. Andere habe es schon geschafft, wie Catalunya und Andalucia, die die Gunst der Stunde genutzt haben, und der derzeit schwachen Zentralregierung die Zuständigkeit für die eigenen Küsten  abgetrotzt haben.

Weiter schaltet sich auch das von den Betroffenen angerufene Europaparlament ein.  Schon in den vergangenen Jahren war ein Bericht der dänischen Europa-Abgeordneten Auken („informe Auken“) bekannt geworden, der Korrekturen einforderte. Nun haben sich Initiativen gegründet, die das Küstengesetz auch von dort aus massiv angreifen.

Objektiv handelt es sich zweifellos um eine Enteignung, da den Eigentümern nur eine Restnutzungszeit von 30 Jahren gestattet wird (die also im Jahre 2018 ablaufen wird), allerdings verlängerbar um weitere 30 Jahre. Das spanische Verfassungsgericht entschied bereits 1991 (Urteil 149/91 vom 4. Juli), dass mit dieser langen Restnutzungsdauer KEINE entschädigungspflichtige Enteignung verbunden sei. Kaum nachvollziehbar, denn mit oder ohne Restnutzung, eine dramatische Entwertung des Grundstücks war damit festgeschrieben.

Wieder einmal wird mit diesem Gesetz deutlich, wie allgemein gültige Regelungen, wie sie nun einmal in Gesetzen enthalten sind (und sein müssen), einen politischen Wert haben, letztlich nicht aber verhindern dürfen, dass auch eine Einzelfallgerechtigkeit gegeben sein muss. Diese in jedem einzelnen Fall zu überprüfen ist zwar mühsam, aber ein zwangsläufiger Anspruch an demokratische Regeln.

Quelle:

Dr Armin Reichmann
Rechtsanwalt / Abogado
Frankfurt / Palma de Mallorca
www.dr-reichmann.com

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